(unbezahlte Werbung, da Studionennung)
Ich stelle euch heute eine ganz wunderbare Frau vor, die meinen faulen Popo regelmäßig in Bewegung bringt: Sybille. Sybille gehört ein superschönes Yogastudio in Mainz. Ich habe schon früher ein bisschen mit Yoga experimentiert und war in den unterschiedlichsten Locations: Vom Keller, der mit Sandsäcken isoliert war, die wir bei der Endentspannung auf den Bauch gelegt bekamen (seltsam, dass man das in der Situation nicht seltsam findet – aber da war ich wohl entspannt genug) bis zum Fitness-Studio, in dem die Anweisungen gebrüllt wurden. Yo, auch nicht Sinn der Sache. Und so war ich wirklich sehr, sehr dankbar, als mich meine Freundin Diana nach langem Drängeln mitschleifte. Und ich liebe es.
Mein Rücken auch. Der innere Schweinehund weint jeden Mittwochabend leise vor sich hin, aber nach den ersten Malen habe ich eine gewisse Gelassenheit entwickelt. Ich bin so gelassen, dass ich mich ohne Hintergedanken in der ersten Reihe beim Armstütz auf den Bauch platschen lassen kann. Kobra? Bei mir heißt das “fauler Wal”.
Ihr seht, ich bin noch kein Super-Yogi. ABER: Wo es an der Beweglichkeit und Kraft fehlt, kann ich immer noch mit meinem Interesse punkten. Denn Yoga ist nicht nur eine super entspannende Bewegungsform, sondern auch eine ganze Philosophie. Und ihr werdet es kaum glauben, aber auch die Themen Ordnung & Putzen finden dort einen Platz. Wie?
Das erzählt euch jetzt Sybille, die da unglaublich viel mehr Ahnung von hat (bevor ich mir etwas zusammenschwurbel …)
Wer hätte gedacht, dass in den alten Yogaschriften das Thema Reinheit groß geschrieben wird – nicht nur als körperliche Hygiene und somit die Gesundheit fördernd. Es ist auch die als erste zu entwickelnde yogische Qualität und Eigenschaft! Gastautorin und Yogalehrerin Sybille Schlegel stellt euch das Konzept von Śauca (sprich: Schautscha, Sanskrit für Reinheit), yogischer Ordnungsliebe und Sauberkeit, vor und erklärt, was Reinheit mit Fokus und Fokus mit Yoga zu tun hat.
Los geht´s, das Wort hat Sybille:
Es ist Donnerstag und ich putze hingebungsvoll Regale, Vorratstöpfe und den Fliesenspiegel in der Küche – freitags kommt nämlich meine Putzfrau. Und wer kennt das nicht: Vor der Putzfrau wird groß reine gemacht, damit sie nicht denkt, der eigene Haushalt sei der Stall eines weiblichen Schweins und man selbst keine gute Hausfrau. Und nach der Putzfrau wird alles wieder an den Platz geräumt, denn sie war offensichtlich der Meinung, dass das Interieur ein Update braucht.
Der Fliesenspiegel hinter dem Spülbecken ist ein Ort, dem ich als beschäftigte Mutter und Selbstständige nicht oft meine Aufmerksamkeit schenke. Noch nicht mal jeden Donnerstag. Doch die hineinscheinenden Strahlen der sommerlichen Abendsonne zeigen wie Laserpointer auf die orangefarbenen Mosaikflieschen, so als wollte Mutter Natur sagen: „Meine Liebe, bitte. Das müssen Sie doch sehen!“ Ich schaue genau hin und tatsächlich: Flecken. Winzig und kaum zu erkennen. Je länger ich schaue, desto mehr werden es…
Als Yogaübende und –lehrende ist das Fokussieren, das Ausrichten meiner Aufmerksamkeits-Energie auf eine Sache, grundlegend. Man könnte sagen: Yoga ist der Zustand von vollendetem Fokus. Was das ist? Ein Fokus, der über einen längeren Zeitraum ungestört Betrachter und Betrachtetes verbindet – ohne Gedanken zum Thema, ohne das Formulieren von Bedeutungen, ohne jeden Sportreporter im Kopf. Dazu muss man wissen, dass Gedanken und die Fähigkeit, sie zu formulieren – so toll und hilfreich in vielen Alltagssituationen – im meditativen Fokus so viel Wert sind wie Ketchupflecken auf einer weißen Bluse. Sie stören. Und verhindern das Wahrnehmen absoluter Tiefe und Klarheit.
Man kann sich das am Beispiel einer Brille gut vorstellen: Nachdem man Zucchini-Blüten in einer Pfanne mit kaltgepresstem kretischen Olivenöl frittiert hat, haben mehrere größere und kleinere Flecken ihren Weg auf die Brillengläser gefunden und verändern gewissermaßen die Sicht auf die Dinge. Dies sind die Gedanken und Erfahrungen unseres Lebens, die unsere Wahrnehmung prägen und dadurch einschränken. Je weniger Flecken, desto klarer die Sicht. Ersetzen wir einfach das Wort „Flecken“ durch „Gedanken“.
Mens sana in corpore sano
Was Meister Propper für die Fleckenlosigkeit im Haushalt, ist bzw. war Meister Patañjali für die innere Reinheit. Vor ca. zweieinhalbtausend Jahren verfasste er einen Leitfaden zum Thema Yoga, das Yogasutra. Hier erklärt er ausführlich, was Yoga ist – nämlich der Zustand völliger Gedankenruhe – und wie man das erreicht. Sein Übungsweg umfasst acht Felder, in den man sich in innere Harmonie versucht: Im ersten Feld geht es im Wesentlichen um einen friedlicheren Umgang mit den Mitmenschen, im zweiten um das Etablieren von Qualitäten, die für das weitere Üben sinnvoll sind. Im dritten geht um die körperliche Erfahrungsebene, in der vierten um die des Atems, in der fünften um die Sinne. Die letzten drei Felder hängen eng miteinander zusammen und betreffen das Aufbauen von tiefer Konzentriertheit. Śauca, die Reinheit, findet im zweiten Feld statt. Es ist die erste Qualität vor Zufriedenheit, Disziplin, Reflektion und Andächtigkeit:
„Reinheit (erzeugt) Ekel vor dem eigenen Körper sowie vor dem Kontakt mit anderen.“ YS 2.40
Ich habe mal einen Blog von einer amerikanischen Kollegin gelesen , die sich ziemlich schwer getan hat, mit dieser Aussage des alten Yogis. Es ist ja auch nicht einfach zu verstehen, dass etwas, das eine Yoga-Übende etablieren soll, „Ekel vor dem eigenen Körper“ erzeugt. Andererseits: In einer Kultur und Zeit (nämlich ca. 200-300 vor Chr.), in der nicht unbedingt die gleichen Hygiene-Standards wie heute gegolten haben, könnte man sich schon vorstellen, dass das plötzliche hingebungsvolle Reinigen des Körpers ein Gefühl von Abstandwollen hervorruft.
Ordnung als Grundlage
Ähnlich wie mit meinen Fliesen: Erst Hinsehen, dann Ekel, dann Kümmern, dann regelmäßig Kümmern durch Bewusstheit über eine mögliche Verunreinigung. Und diese Bewusstheit ist der Punkt: Es geht im Yoga um eine immer feiner werdende Wahrnehmung. Und die muss trainiert werden wie ein Bizeps! Schon die alten Lateiner wussten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt. (Obwohl der oben genannte Ausspruch des römischen Satirikers Juvenal aus dem Kontext gerissen zitiert wird und eigentlich hieß: „Beten soll man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.“ Aber das nur am Rande…).
Die äußere Reinlichkeit im Yoga, die sich nach den alten Hatha Schriften neben dem Körper auch auf die Behausung erstreckt, dient also als Grundlage für Klarheit. Wir sprechen im Deutschen sogar von „Aufgeräumtheit“ und meinen damit ein inneres Gefühl. Ich persönlich kann nur nachdenken, wenn es ordentlich ist. Früher, in meinem Werberjob, musste ich, wenn ich kreativ und „out-of-the-box“ gearbeitet hatte und dann plötzlich konzeptionell-planerisch werden musste, immer erst mal meinen Schreibtisch aufräumen, zur Not auch noch die Handtasche. Danach ging’s. Gehirn auf Struktur gestellt.
Warum Putzen spirituell ist
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Wir können es ignorieren. Aber Yoga ist spirituell. Es geht um das Wahrnehmung des Innersten, des Ursprungs des Seins. Dass man dabei auch turnt, hat mit der inneren Balance und Harmonie über die körperliche Wahrnehmungsebene zu tun. Und tatsächlich fühlt man sich nach dem Üben von Asana oft in der Mitte, angekommen und tief zufrieden aus sich heraus.
„(Danach entstehen) Klarheit, Freude, die Fähigkeit sich zu fokussieren und die Fähigkeit die eigenen Sinne zu steuern; (und wird so in die Lage versetzt) die eigene Seele zu erspüren.“ YS 2.41
Patañjali lehrt, dass das sinnliche Wahrnehmen von Ordnung einen Effekt auf das Gemüt hat: es wird klar und freudig, und kann sich – wie oben beschrieben – besser fokussieren. In dieser inneren Balance und Harmonie kann man besser das spüren, was nur spürbar ist: den eigenen Kern. Denn die Yogis wussten sicher, was heute auf T-Shirts und in Selbsthilfebüchern kommuniziert wird: Wahres Glück kommt von Innen. Weil es unser ureigenes Selbst ist. Das gute Gefühl nach dem Reinigen bringt uns in Kontakt mit unserem inneren Glück und führt zusätzlich direkt zur nächsten wichtigen Eigenschaft, der Zufriedenheit.
Warum Putzen auch Yoga ist
Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Harmonie, Vertrauen und ähnliches sind wie Türen in das Innere. Die Gegenteile davon sind Hindernisse und verschließen uns von uns selbst. So kann das Putzen der eigenen Wohnung oder die tägliche Dusche, wenn achtsam und bewusst ausgeführt, durchaus Teil der Yogapraxis sein. Disziplin, die dritte Eigenschaft, braucht es dazu auch – manchmal mehr, manchmal weniger. Reflektion, die vierte, auch: um zu spüren, in welchen Gemütszustand das Putzen an diesem Tag führt und wenn es nicht zufrieden ist, woran das liegen könnte. Die fünfte Eigenschaft, Andächtigkeit, wird von Patañjali definiert als das Gefühl im Herzen, als Individuum Teil des Ganzen zu sein (YS 2.45). Diese entsteht auch manchmal beim Putzen: Wenn der Geist durch das eventuell eintönige Handeln irgendwann aufhört zu erzählen und man nur noch so ein warmes „Hach!“ in sich fühlt… und die Bewegungen des Putzlappens auf dem Fliesenspiegel fast zärtlich werden.
Liebe Sybille! Ich danke dir von ganzem Herzen für diesen wundervollen Beitrag! Ich finde es unglaublich beruhigend, dass man das Putzen und Aufräumen auch von einer anderen Seite betrachten kann und das Quälende dabei in den Hintergrund tritt!